[ShortCuts]


Gelächter


Von
Martin Krusche

ShortCut #7

Das Läuten füllte ihn langsam, schob und drückte in seinem Kopf. Schröttner rollte sich aus dem Bett und versuchte auf die Füße zu kommen. Mit den nackten Zehen stieß er gegen eine leere Weinflasche. Daneben lag ein Buch, auf das er stieg. Schrott! Das war sein erster halbwegs klarer Gedanke. Schlagartig kam ein Stück vom Rest der verschollenen Bewußtheit. Montag, fiel ihm ein. Himmel, es ist Tag.
Vormittag oder Nachmittag? Ich sollte längst im Geschäft sein. Der üble Traum dieser Nacht wurde bloß noch von der Konstitution des Katers übertroffen, den sich Schröttner eingefangen hatte. Das Essen. Wo? Schnaps. Schröttner erinnerte sich, daß er mit irgend jemandem Schnaps - viel davon - getrunken hatte. Ein Mann mit Augen wie eine Eule, auseinanderstehenden Schneidezähnen und einem karierten Hemd. Dann, zu Hause, allein ... Die leere Flasche auf dem Boden war ein Doppelliter-Gebinde. Und da hab ich noch gelesen? fragte er sich. Ausgerechnet Dostojewski. Das Klingeln hielt an. Da seine Hose vor dem Bett auf dem Boden lag, fand Schröttner leidlich flott hinein und stelzte nun an die Wohnungstür. Als er öffnete, vernahm er: "Saugtest, bittesehr."
"Was?" Er stand einer Frau mittleren Alters gegenüber.
"Es geht um einen kostenlosen Saugtest. Sie haben doch einen Staubsauger? Welche Marke, wenn ich fragen darf?"
"Keine Ahnung", erwiderte Schröttner, bei dem sich der Schleier der vergangenen Nacht nur zäh hob.
Die Frau mit den strähnigen Haaren und dem selbstsicheren Unterschichtentonfall hielt ihm einen zerfledderten Formularblock unter die Nase. "Ich mach bloß die Aufnahme. Wenn sie Interesse haben, kommt die Frau Klöckl vorbei und macht den Test. Darf ich sie einschreiben?"
"Ich brauch keinen Test", erwiderte Schröttner, der halbnackt dastand und fröstelte.
"Ist Ihre Frau da?"
"Ich bin nicht verheiratet."
"Ihre Mutter. Ist Ihre Mutter da?"
"Nein", antwortete Schröttner hilflos.
"Sie sind Student, oder? Ist das Ihre Wohnung?" Die Frau steckte den Kopf zur Tür herein. "Nein. So eine Wohnung können Sie sich nicht leisten, gell?! Darf ich Sie jetzt vormerken?"
"Wofür denn?" kam es von Schröttner fast bittend, denn er begiff nicht.
"Schauen Sie: Ich hab heute noch niemanden vorgemerkt. Ich muß aber wen bringen. Das andere macht sowieso die Frau Klöckl. Aber ich muß mir auch mein Geld verdienen können. Oder? Ich hab keine solche Wohnung wie Sie."
"Dann müssen Sie ..." Schröttner versuchte etwas zu unternehmen.
Die Frau lachte, wodurch ihr Haarsträhnen vors Gesicht kamen, und tippte ihm mit dem Zeigefinger auf die bloße Brust.
"Der Meinige bringt nichts heim, weil er arbeitslos ist. Aber der ist eh nicht mein Mann; gell. Der ist eine Type. Da machen Sie sich keine Vorstellung." Sie schüttelte ihren Kopf, wodurch ihr Gesicht von den Haaren allerdings nicht freikam. "Dafür kann mich heut nicht mehr so leicht wer einschüchtern." Mit starker Betonung sagte sie: "Männer." Aber sie lächelte dabei. "Angst hab ich keine. Wenn Sie mich zum Beispiel reinbitten würden, auf eine Zigarette - ich hätt sogar selber Zigaretten eingesteckt - tät ich mich hineintrauen, weil - das müßten schon zwei wie Sie sein, daß ich mich fürcht. Oder? Das ist halt der Vorteil, wenn man was durchgemacht hat."
Schröttner starrte sie völlig entgeistert an.
"Aber bitte. Es muß ja nicht der Staubsauger sein. Da gibt es auch diesen Mop. Sehen Sie?"
Sie hielt ihm einen anderen Formularblock unter die Nase. "Der wird gerne gekauft."
Schröttner war nun wach genug, eine Chance zu ergreifen.
"Hier hab ich Nadelfilz und drinnen einen Spannteppich. Da brauch ich keinen Mop", sagte er.
"Und in der Küche. Und im Bad?"
"Nein."
Das schien der guten Laune der Frau nichts anzuhaben.
"Wenn er Ihnen zu teuer ist, kann man ihn auch auf zwei Raten bezahlen."
"Ich brauch ihn nicht", beharrte Schröttner. "Das ist was für's Stiegenhaus. Fragen Sie doch die Hausmeisterin."
"Die? Bei der war ich schon. Die hat überhaupt kein Geld. Schwanger ist sie. Aber Geld hat sie keines."
Schröttner sank ein Stück in sich zusammen. Die Frau wirkte plötzlich sehr nachdenklich. "Sind Sie eigentlich so alt, wie Sie aussehen? Wegen dem Bart, meine ich. Und Ihr Gesicht - nicht bös sein; gell? Aber wenn ich Sie so anschau. Und die vielen Haare."
"Was ist?"
"Naja", sagte sie. "Ich möcht keinen mit so vielen Haaren. Aber nicht bös sein."
Und sie lachte, lachte, daß ihr die Tränen kamen, wandte sich ab. "Auf wiederschauen!" Als sie den Treppenabsatz erreicht hatte, war ihr Körper gekrümmt und das ganze Stiegenhaus hallte wieder von ihrem Gelächter.
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