Werkzeuge und neue Räume
(Erzählen in neuen Räumen II)

Von Martin Krusche
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Die Werkzeuge, die wir benützen, wirken sich auf uns verändernd aus. Darüber besteht breiter Konsens. Die neue Mediensituation bewirkt das über ihre Maschinen zwar gewiß auch. Aber es manifestiert sich vorerst noch auf eher unspektakuläre Art. Freilich werden unsere Kognitionsweisen durch die neuen Simulationsmaschinen beeinflußt. Doch die Auffassungen was das Reale und was Realität sei, befinden sich ohnehin in stetem Fluß.

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Der Akt des Schreibens, wo und wodurch Texte entstehen, ist davon augenblicklich sicher noch nicht so stark berührt wie der Gestus des Schreibens. Es gibt subkulturelle Nischen, wo der technologische Aspekt schon stärker in die Schreibhaltung einbezogen wurde. Richtet man allerdings das Licht irgendeiner Öffentlichkeit auf solche Nischen, wird das, was man dort sehen könnte, gewöhnlich sofort etwas anderes.

Es gibt auch jene Schreibenden, die aller Welt umgehend mitteilen müssen, daß sie ihre Kofferschreibmaschine mit etwas ganz Neuem vertauscht haben. Und daß nun plötzlich alles anders sei. Diese teils marktschreierischen Exponenten interessieren mich am allerwenigsten. Ich meine, man kann redlich feststellen, daß sich natürlich die Bedingungen des Literaturgeschehens radikal verändern.

Wie man sich darin eine Existenz einrichtet, als Schreibender, wofür Medienanwendung konstitutionell ist, wäre momentan sehr spannend zu debattieren. Das Anbieten virtueller Welten ist seit jeher eine Domäne der Literatur. Das Medium Buch hält auf diesem Feld nach wie vor stand. Die neuen Simulationsmaschinen verändern aber teilweise die Art, wie solche Angebote an unsere Sinne gerichtet werden. Und sie regen an, andere Wir-Konstruktionen sowie andere Realitätskonstruktionen in Betracht zu ziehen.

Es ist also naheliegend, erfahrene Schreibende zu befragen, wie und worin sie das Auftauchen dieses noch recht ungewohnten, maschinengestützten Typus von virtuellen Welten erfahren. Welche Konsequenzen daraus zu erwarten sind. Und was das für ihre praktische Autorenschaft bedeutet. Das ist vor allem dort interessant, wo nicht eine merkliche Maschinenverliebtheit die Perspektiven polarisiert. Wo der Schreibakt im Fokus bleibt. Denn im Zentrum der Medienanwendung stehen immer noch das Erzählen und das Hören, das Verstehen. Da sind immer noch die Fragen, was wir mit Realität meinen und was wir unter "Conditio humana" verstehen wollen. Das läßt aber auch fragen, wer unter welchen Bedingungen an solchen Klärungen teilnehmen darf und kann.

Es geht einmal mehr um die Erörterung von Grenzlagen, von möglichen Bruchlinien und dessen, wie sich Territorien diesseits und jenseits solcher Grenzen zueinander verhalten. Es geht um das Beschreiten und Beleben neuer Räume... falls da Neuland ist.

Übrigens: Das herausragende Betriebsmittel der neuen Simulationsmaschinen ist – TEXT. Software. Eine gigantische Bibliothek von Statemens... Fragen und Anweisungen. Ein weiterer Anlaß zu fragen und zu diskutieren: Wie wird erzählt? Was bewirkt Text?


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